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Entdeckertag

Der Reichstag - Ein Haus und seine Geschichte

20:19 Minuten
Im Reichstagsgebäude in Berlin wählt die Bundesversammlung den neuen Bundespräsidenten.
Der Reichstag - Ein Haus und seine Geschichte © dpa / picture-alliance / Ralf Hirschberger
Von Annette Bäßler · 06.10.2017
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Er ist riesengroß, 120 Jahre alt und hat ein spektakuläres Glasdach: Der Reichstag in Berlin. Täglich durchstreifen ihn tausende Besucher und er ist zugleich Arbeitsplatz für hunderte Politiker und Politikerinnen. Das Berliner Reichstagsgebäude thront mitten in der Hauptstadt Deutschlands und sieht so bedeutend aus, wie es tatsächlich ist. Denn in diesen Mauern wird Deutschland regiert. Hier wird über politische Ideen gestritten, hier werden Gesetze beschlossen und wichtige Posten vergeben - oder verloren. KAKADU streift durch dieses alte Gebäude, stöbert in seiner Vergangenheit, flattert durch den Plenarsaal und besucht natürlich auch die große Glaskuppel.
Die Geschichte des Reichstagsgebäudes in Berlin
Das erste, in freier, gleicher, direkter und geheimer Wahl gewählte deutsche Parlament fand im Jahr 1871 in Berlin zusammen. Da es für das neue Parlament noch kein eigenes Gebäude gab, tagten die Abgeordneten vorerst in der Königlichen Porzellanfabrik. Doch die Parlamentarier forderten ein eigenes Gebäude für sich. Es sollte groß sein, bedeutend, ein "Monumentalbau des deutschen Volkes".
Den anschließenden Architekturwettbewerb gewann der Architekt Paul Wallot.
Am 9. Juni 1884 wurde in einer prunkvollen Feier - Kaiser Wilhelm I. und Reichskanzler Fürst Bismarck nahmen an ihr teil - der Grundstein gelegt.
In der Folgezeit musste Wallot energisch darum kämpfen, die Kuppel - entsprechend seinem ursprünglichen Entwurf - zentral über dem Sitzungssaal anzubringen. Wallot betrachtete die Kuppel sowohl aus Gründen der Lichtwirkung im Gebäude als auch für die ästhetische Gesamtwirkung des Gebäudes, die Verteilung der Baumassen also, als unerlässlich.
Was seiner Konzeption einen besonderen Rang verlieh, war die Tatsache, dass in der damaligen Zeit ein solcher Kuppelbau eine technische Meisterleistung darstellte, gleichsam ein Symbol zukunftsweisender Ingenieurbaukunst.
Am 5. Dezember 1894 endlich konnte die Schlusssteinlegung gefeiert werden. Am gleichen Tag fand die Reichstagseröffnung im Berliner Schloss statt.
Während der Revolution von 1918 stand das Reichstagsgebäude im Mittelpunkt der Ereignisse in Berlin. Nach der Abdankung des Kaisers rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November 1918 von einem Fenster des Gebäudes die Republik aus, und im Plenarsaal tagten die Berliner Arbeiter- und Soldatenräte. Infolge der Unruhen in Berlin wurde die im Januar 1919 gewählte verfassunggebende Nationalversammlung nicht nach Berlin in das Reichstagsgebäude, sondern in das Staatstheater nach Weimar einberufen und dort Anfang Februar 1919 eröffnet. Erst in der zweiten Hälfe des Jahres 1919 kehrten die Parlamentarier in das Reichstagsgebäude zurück.
Inschrift auf dem Eingangsportal des Reichstages in Berlin: "Dem deutschen Volke"
Inschrift auf dem Eingangsportal des Reichstages in Berlin: "Dem deutschen Volke"© Stock.XCHNG / Thomas Warm
Wie der Beginn, war auch das Ende der Weimarer Republik eng mit dem Schicksal des Reichstagsgebäudes verknüpft. Ein vermutlich von dem holländischen Kommunisten van der Lubbe gelegter Brand zerstörte den Plenarsaal des Reichstagsgebäudes in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933. Der Brand bot den Nationalsozialisten den willkommenen Vorwand, in einer offenkundig schon vorbereiteten Aktion mitten im Wahlkampf führende kommunistische Abgeordnete zu verhaften, die sozialdemokratische Presse vorübergehend zu verbieten und wichtige Grundrechte außer Kraft zu setzen. Wenigstens blieb dem Reichstagsgebäude durch den Brand erspart, zum Ort der Verabschiedung des "Ermächtigungsgesetzes" zu werden. Mit der Annahme dieses Gesetzes am 23.März 1933 entmachteten sich die verbliebenen Parlamentarier selbst. Lediglich die Sozialdemokraten stimmten gegen das Gesetz. Die Abstimmung fand in der dem Reichstagsgebäude gegenüberliegenden Krolloper statt.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude nicht mehr für parlamentarische Zwecke genutzt. In der Endphase der Kämpfe um Berlin tobte ein besonders erbittertes Gefecht um das Reichstagsgebäude, da seiner Eroberung von der sowjetischen Führung offenkundig große symbolische Bedeutung beigemessen wurde. Weltweit bekannt wurde das - nachträglich inszenierte - Foto der Flaggenhissung durch Soldaten der Roten Armee auf dem Hauptgesims der Ostfassade des Reichstagsgebäudes.
Das Reichstagsgebäude in Berlin im Jahr 1951
Das Reichstagsgebäude in Berlin im Jahr 1951© AP Archiv
Nach dem Krieg bildete die Ruine des Gebäudes immer wieder den Hintergrund für die gewaltige Demonstration der Berliner. So beispielsweise am 9. September 1948 während der Blockade Westberlins, als Oberbürgermeister Ernst Reuter seinen berühmten Appell "Ihr Völker der Welt ... Schaut auf diese Stadt" an die freie Welt richtete.
Zu Beginn der fünfziger Jahre wurden dann erste Enttrümmerungsarbeiten in der Ruine durchgeführt. Infolge einer fragwürdigen Entscheidung wurde die beschädigte Kuppel gesprengt, später wurde ein Teil der Fassade unter Entfernung historischer Stilelemente wiederhergestellt. Erst im Jahre 1955 beschloss der Deutsche Bundestag den definitiven Wiederaufbau, allerdings zunächst ohne Festlegung einer späteren Nutzung. Nach Ausschreibung eines beschränkten Wettbewerbs erhielt schließlich Paul Baumgarten im Jahre 1961 den Auftrag zum Ausbau des Reichstagsgebäudes. Dieser wurde bis zum Jahre 1973 vollendet. Bereits im Jahr 1971 war vom Deutschen Bundestag im Reichstagsgebäude die Ausstellung "Fragen an die deutsche Geschichte" eröffnet worden. Bundestagssitzungen durften seit dem Viermächte-Abkommen von 1971 ohnehin nicht in Berlin abgehalten werden, lediglich Fraktions- und Ausschusssitzungen fanden daher in den neu eingerichteten Sitzungssälen statt. Gleichwohl war im Zentrum des Hauses ein vollständiger Plenarsaal hergerichtet worden, der jederzeit den Abgeordneten eines wiedervereingten Deutschlands hätte Platz bieten können.
Seine Stunde kam am 4. Oktober 1990: Das erste gesamtdeutsche Parlament trat zu seiner ersten Sitzung im Reichstagsgebäude zusammen. Doch das Gebäude sollte noch stärker in den Mittelpunkt des politischen Geschehens rücken, und zwar durch den Bundestagsbeschluss vom 20. Juni 1991, Parlament und Regierung nach Berlin zu verlegen, sowie durch den Beschluss des Ältestenrates des Deutschen Bundestages, das Reichstagsgebäude zum Sitz des Bundestages zu erheben.
Nach einem 1992 ausgelobten internatonalen Architektenwettbewerb wurde Sir Norman Foster mit den Umbauarbeiten beauftragt. Mit der Verhüllung des Gebäudes durch Christo vor Beginn der Umbauarbeiten stand das Reichstagsgebäude im Jahre 1995 im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit.
Ein Regenbogen ist am 30.07.2015 in Berlin über dem Reichstag am Himmel zusehen.
Ein Regenbogen ist am 30.07.2015 in Berlin über dem Reichstag am Himmel zusehen. © Britta Pedersen/dpa
Auch die Wiedererrichtung einer - wenngleich gegenüber Wallots Werk modifizierten - Kuppel ist inzwischen realisiert. Der Deutsche Bundestag eröffnete im April 1999 das umgebaute Reichstagsgebäude mit einer feierlichen Sitzung. Am 23. Mai 1999 wählte die Bundesversammlung den neuen Bundespräsidenten an gleicher Stelle. Im September 1999 verlegte der Deutsche Bundestag seinen Sitz endgültig nach Berlin. Von diesem Zeitpunkt an finden die Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude statt.
(Thomas Fuchs/Kakadu)