Viel Spaß
Kinderhörspiel

Der gläserne Schuh

Goldmünzen und Juwelen quellen aus einer Schatztruhe
Die Unterirdischen im Berg Dobberworth graben nach Gold und Edelsteinen. © imago/Ikon Images
Von Holger Teschke nach einer Rügener Sage · 26.12.2016
Von den Unterirdischen im Berg Dobberworth erzählen sich die Dorfbewohner schaurige Geschichten. Sie sollen nicht nur nach Gold und Edelsteinen graben, sondern auch Menschen gefangen halten, die sich auf einen Handel mit ihnen eingelassen haben. Auch der junge Johann Wilde gerät in ihre Fänge.
1 Dorfkrug
(Lauter Gesang. Johann Wilde, Johanna, Wirtin)
Männergesang: Wer haust tief unten im Dobberworth?
Wer gräbt und gräbt in einem fort?
Wer schürft nach Gold und nach Edelsteinen?
Das sind die unsichtbaren Kleinen!
Die schwarzen Zwerge graben dort
Unter dem Berg im Dobberworth
Johann (flüstert): Johanna? Wenn der Krug geschlossen wird, dann warte ich auf dich am Feldrain hinter der Scheune.
Johanna (flüstert): Ich weiß nicht, ob ich heute kommen kann. Die Stiefmutter ist misstrauisch, wenn du da bist.
Johann: Ich warte trotzdem.
Wirtin (ruft): Johanna! Was tuschelst du da herum? Beeil dich und bring mir die leeren Bierkrüge! Die Gäste warten. (kommt an Johanns Tisch) Du hast schon lange ausgetrunken, was hockst du hier herum?
Johann: Ich lausche dem Gesang.
Wirtin: Willst du mich auf den Arm nehmen? Ich weiß genau, was du hier willst. Aber daraus wird nichts. Die Johanna hab ich dem Bauer Kruse versprochen. Der zahlt mir hundert Taler, wenn sie seine Frau wird. Damit kann ich mir eine andere Magd nehmen. Eine, die nicht so stolz und eigensinnig ist. Also, schlag dir die Johanna aus dem Kopf.
Johann: Aber der Bauer Kruse ist seit zwei Wochen verschwunden.
Wirtin: Er ist in die Stadt gefahren, um das Aufgebot zu bestellen. Denkst du, ein reicher Mann wie er heiratet in dieser Kuhbläke?
Johann: Zwei ganze Wochen fürs Aufgebot?
Wirtin: Er hat Geschäfte zu erledigen.
Johann: Geschäfte mit wem?
Wirtin: Was geht’s dich an? Wenn es in diesem Nest einer zu Geld bringt, dann muss es nicht gleich mit dem Teufel zugehen.
Johann: Oder mit den Unterirdischen.
Wirtin: Die Unterirdischen, dass ich nicht lache! Ich habe keine Zeit, mir solche Märchen anzuhören. Es ist gleich Schankschluss. Also, noch ein Bier?
Johann: Ich zahle. (Wirft ein Geldstück auf den Tisch und geht.)
Männergesang: Wohin ist Bauer Kruse gegangen?
Tief unterm Berg sitzt er gefangen.
Er gräbt nun nach Gold und nach Edelsteinen
Tag und Nacht für die unsichtbar Kleinen!
Die schwarzen Zwerge halten ihn dort
Fest unterm Berg im Dobberworth
(Klatschen)
Wirtin: Das reicht. Schankschluss, Männer!
2 Feldrain hinter der Scheune des Dorfkrugs
(Johann und Johanna. Wind, ein Hund bellt)
Johanna: Johann?
Johann: Hier, hinter dem Weißdornbusch.
Johanna: Ich kann nicht lange bleiben. Ich soll nur das Feuerholz holen für morgen früh.
Johann: Glaubt deine Stiefmutter wirklich, dass Bauer Kruse noch zurückkommt?
Johanna: Sie ist wütend, weil das ganze Dorf sich lustig macht. Aber sie wird mich nie gehen lassen, wenn sie die hundert Taler nicht bekommt.
Johann: Dann werde ich die hundert Taler besorgen.
Johanna: Du?
Johann: Warum denn nicht? Schließlich bin ich ein Sonntagskind. Ich werde zu den Unterirdischen gehen und sie bitten, mir zu helfen.
Johanna: Die Unterirdischen verschenken kein Geld. Es sei denn …
Johann: Was?
Johanna: Es sei denn, man bekommt etwas, das ihnen gehört.
Johann: Aber wie stelle ich das an?
Johanna (eilig): Du musst zu Mitternacht auf den Dobberworth gehen, wenn bei Vollmond die Schatzfeuer brennen. Dann tanzen sie dort unsichtbar auf der Lichtung. Nimm eine Tasche voll Weizenkörner mit und wirf sie ins Gras. Wenn du Glück hast, triffst du einen von ihnen. Dann wird er sichtbar und du kannst ihn fangen. Aber sei vorsichtig. Mit den Unterirdischen ist nicht zu spaßen.
Johann: Und woher weißt du das alles?
Johanna: Ich – meine Großmutter hat es mir erzählt. Aber jetzt muss ich mich beeilen, sonst schaut die Stiefmutter nach, wo ich bleibe.
Johann: Gute Nacht, Johanna. Ich komme wieder und hole dich!
Johanna: Sei vorsichtig, Johann.
3 Feld vor dem Dobberworth
(Johann. Nacht, Wind. Der Braune schnobert)
Johann: Wie der Wind jault. Wie ein Sack voll Katzen. Siehst du das Feuer auf dem Dobberworth, Brauner? Willst du deswegen nicht weiter? Sei ruhig. Ich binde dich hier an die Weide und geh allein den Berg hinauf. Verscheuchst mir sonst noch die Kobolde mit deinem Geschnober. Der Mond ist hinter den Wolken verschwunden, aber das Schatzfeuer zeigt mir die Richtung. (Er bahnt sich einen Weg durchs Unterholz.) Weder Weg noch Steg, nur Gestrüpp und Dornhecken. (Prasseln des Schatzfeuers.) Wie das lodert. Die Flammen schlagen bis an die Wolken. Ich muss näher heran.
(Musik und Gesang)
Stimmen: Wohin ist Bauer Kruse gegangen? Unten im Berg sitzt er gefangen!
Muss nach Gold jetzt graben und suchen
Hört ihr ihn jammern, hört ihr ihn fluchen? Schleppt goldene Ketten im goldenen Haus! Kommt aus dem Goldberg nie mehr heraus!
Johann: (flüstert) Träum ich oder wach ich? Wo kommt dieser Gesang her? Nirgends ein Unterirdischer zu sehen. Da muss ich es eben mit den Weizenkörnern versuchen.
(Er wirft eine Handvoll auf die Lichtung, das Feuer lodert auf, Geschrei der Unterirdischen, Donnergrollen und Zischen, während sich der Berg schließt und die Unterirdischen fliehen.)
Himmel, das ging schnell. Die Zwerge sind hin- und hergeflogen, als sei der Teufel unter sie gefahren. Jetzt ist alles still und der Berg liegt verschlossen. Aber was glänzt da im Gras? (Johann streift das Gras zur Seite und hebt den gläsernen Schuh auf.) Das ist kein Gold und auch kein Silber – ein kleiner, gläserner Schuh!
4 Im Berg
(Tropfsteinhöhlengeräusche. Wassertropfen fallen in einen unterirdischen See und auf den Boden. Fernes Hämmern, wie auf Glas und noch tiefer ein dunkles Rauschen, wie von einem mächtigen Strom. Der König der Unterirdischen auf seinem gläsernen Thron, vor ihm der Unterirdische, der den Schuh verloren hat)
König: Du Tölpel! Wie konntest du dir deinen Schuh nehmen lassen? Jetzt bist du für alle Welt sichtbar geworden. Aber ein Unterirdischer, der sichtbar ist, ist eine Gefahr für unser Reich. Ich sollte dir deinen Bart abschneiden lassen und dich zu den Goldgräbern ins tiefste Bergwerk stecken.
Unterirdischer: Vergebung, mein König. Erlaubt mir, ans Tageslicht zu gehen und meinen Schuh zurückzuholen.
König: Und wie willst du das anstellen? Ins Dorf spazieren und krakeelen: "Ich bin ein Unterirdischer, gebt mir meinen gläsernen Schuh zurück?"
Unterirdischer: Ich werde mich als Kaufmann verkleiden und dem Bauern einen Handel vorschlagen.
König: So, einen Handel! Und was willst du ihm bieten?
Unterirdischer: Ich muss herausbekommen, was er sich am sehnlichsten wünscht. Dafür wird er mir den Schuh schon zurückgeben.
König: Und wenn er sich auf keinen Handel einlässt?
Unterirdischer: Er wird Gold haben wollen, wie alle. Ein gläserner Schuh nutzt ihm nichts.
König: Gut. Aber wir brauchen vor allem wieder Brot und Bier. Unsere Vorratskammern sind leer, seit Bauer Kruse uns nichts mehr bringen kann. Sieh zu, dass du den Schuhdieb auch zu diesem Handel überredest.
Unterirdischer: Ich darf ihm dafür geben, was er verlangt?
König: Solange er uns Brot und Bier bringt, stopf ihm die Taschen voll. Aber er muss es dir schwören. Beim Liebsten, das er auf Erden hat, verstanden?
Unterirdischer: Sehr wohl, mein König.
König: Wache! Führt ihn aus dem Berg. Stellt doppelte Posten auf, bis er zurück ist.
5 Dorfanger
(Am Morgen. Der Hahn kräht, Amselgesang. Johann und Johanna, mit Wassereimern)
Johann: Guten Morgen, Johanna. Hörst du, wie die Amsel jubiliert?
Johanna: Ich muss mich beeilen…
Johann: Warte. Ich will mich für deinen Rat bedanken. Sieh, was ich gefunden habe.
Johanna: Einen gläsernen Schuh! Wie ihn die Unterirdischen tragen.
Johann: Woher weißt du das?
Johanna: Ich… – von der Großmutter. Sie hat mir erzählt, dass alles, was die Unterirdischen besitzen, aus Glas sein soll. Ihre Tische und Betten und sogar ihre Kleider und Schuhe.
Johann: Und woher wusste deine Großmutter das?
Johanna: Sie wusste es eben. Was wirst du jetzt tun?
Johann: Warten, bis der Unterirdische zu mir kommt und seinen Schuh zurückverlangt. Worum soll ich ihn bitten?
Johanna: Das musst du selber wissen. Ich muss zurück in den Krug.
Johann: Johanna ! Warte doch! (Die Tür des Kruges fällt ins Schloss)
6 Johanns Katen
(Am Morgen. Eine Kutsche fährt vor. Johann, der Unterirdische)
Unterirdischer: Guten Morgen. Wohnt hier der Bauer Johann Wilde?
Johann: Derselbe. Womit kann ich dienen?
Unterirdischer: Ich bin ein Kaufmann auf der Durchreise und sammle Kuriosa für die Wunderkammer des Königs von Schweden. Man sagt mir, du hättest einen gläsernen Schuh?
Johann: Wer sagt das?
Unterirdischer: Die Wirtin im Dorfkrug.
Johann: Kaum zu glauben. Wie schnell sich doch manches herumspricht.
Unterirdischer: Wie steht´s mit dem Schuh? Kann ich ihn sehen?
Johann: Für den König von Schweden?
Unterirdischer: Majestät sammelt allerhand seltsame Dinge. Und weil ich viel in der Welt herumkomme, kauf ich für ihn, was sich an Sonderbarem finden lässt.
Johann: Da müsst Ihr gut bei Kasse sein.
Unterirdischer: Erst den Schuh, dann den Preis.
Johann: Hier ist er.
(Johann stellt den Schuh auf den Tisch, der Unterirdische greift danach. Der Schuh fällt klirrend zu Boden.)
Johann: Vorsicht, Herr!
Unterirdischer: Der zerbricht nicht so leicht.
Johann: Woher wisst Ihr das?
Unterirdischer: Gläserne Schuhe sind nicht so selten, wie ihr hier auf dem Dorf glaubt. Solchen Kram findet man auf vielen Märkten. Aber ich will dir den Schuh abkaufen, weil er hübsch gearbeitet ist. Du hast ihn doch nicht etwa gestohlen?
Johann: Wo denkt Ihr hin! Gefunden.
Unterirdischer: So? Dann biete ich dir zehn Taler dafür.
Johann: Zehn Taler? Dafür kommt er mir nicht aus dem Haus.
Unterirdischer: Sagen wir fünfzehn. Das ist ein guter Preis.
Johann: Fünfzehn?
Unterirdischer: Fünfzehn Taler in Gold.
Johann: Eher bring ich ihn zum Amtmann
Unterirdischer: Und was sagst du dem, wo du ihn her hast?
Johann: Von Gottes freiem Feld.
Unterirdischer: Wer´s glaubt. Also gut - fünfzig ?
Johann: Fünfzig Taler sind Geld, pflegte mein Vater zu sagen. Aber nicht genug Geld für so einen Schuh.
Unterirdischer: Immer noch nicht genug?
Johann: Längst nicht.
Unterirdischer: Dann hundert, das ist mein letztes Wort. Schlägst du ein?
Johann: Für hundert Taler?
Unterirdischer: Ja.
Johann: Ich denk nicht dran. Wenn Ihr so schnell von fünfzig auf hundert springt, dann wird er wohl tausend wert sein.
Unterirdischer: Tausend Taler ? Der winzige Schuh?
Johann: Der winzige Schuh, den sein Besitzer so sehr vermisst.
Unterirdischer: Du kennst seinen Besitzer?
Johann: Nun, nicht dem Namen nach.
Unterirdische: Hast du jemals so viel Geld auf einem Haufen gesehen?
Johann: Nicht mal im Traum.
Unterirdischer: (wirft einen schweren Geldbeutel auf den Tisch.) Da. Zähl nach.
Johann: Tatsächlich. Geprägtes Gold, mit Wappen und Angesicht des Königs. Was steckt wohl für ein Geheimnis in diesem Schuh, dass Ihr mir tausend Taler dafür geben wollt?
Unterirdischer: Das kann dir gleich sein. Der Handel gilt?
Johann: Einen Quark gilt er! Tausend Taler, das sind für euch nicht mehr als für unsereins zehn Groschen. Damit lass ich mich nicht abspeisen.
Unterirdischer: Ich warne dich, Johann Wilde. Die Gier nach Gold hat schon Klügere als dich um den Verstand gebracht. Hast du nicht die Geschichte vom Bauer Kruse gehört?
Johann: Dann wisst Ihr, wohin er verschwunden ist?
Unterirdischer: Was verlangst du?
Johann: Wenn ich in jeder Furche, die ich mit meinem Pflug aufpflüge, einen goldenen Taler finde, dann kannst du den Schuh haben.
Unterirdischer: Ich bin kein Zauberer.
Johann: Da sei Gott vor! Dann müsste ich dich ja beim Amtmann melden.
Unterirdischer: Tausend Taler, wie lange musst du dafür pflügen? Ein Jahr, oder länger?
Johann: Ein Jahr oder drei, aber ich bleibe Bauer und keiner schöpft Verdacht.
Unterirdischer: Mit tausend Talern kannst du in die Stadt ziehen, wo dich keiner kennt.
Johann: Was soll ich in der Stadt? Hier hab ich Haus und Hof, hier will ich bleiben. Also schlägst du ein und beschwörst mir den Handel?
Unterirdischer: Gut. Aber dafür musst du mir auch einen Dienst tun.
Johann: Der wäre?
Unterirdischer: Du musst an jedem Vollmond ein Gespann voller Brot und Bier auf das Feld beim Dobberworth fahren.
Johann: Handelt Ihr auch mit den Unterirdischen, Herr Kaufmann?
Unterirdischer: Das geht dich nichts an. Schwörst du`s - bei deiner Liebsten?
Johann: Die lasst aus dem Spiel.
Unterirdischer: Wenn du dein Glück willst, musst du auch etwas wagen. Denn ohne Gold wirst du sie niemals bekommen.
Johann: (zögernd) Ich schwöre.
Unterirdischer: Doch zu keinem ein Wort über unseren Handel. Sonst wird dein Glück nicht lange dauern. (Der Hahn kräht.)
7 Feld
(Am Morgen. Johann mit dem Gespann. Lerchengesang, das Schnobern des Braunen)
Johann: So, Brauner. Jetzt wollen wir sehen, ob der Kaufmann Wort gehalten hat! Hüh! Zieh an!
(Geräusch von Geschirr und Pflug.) Von wegen Kaufmann. Kaum bis zum Gürtel hat er mir gereicht, trotz seines spitzen Huts. Mit zehn Talern wollte er mich abspeisen und haust selber in einem Berg voller Gold. Schlau sind sie, diese Unterirdischen. Aber unsereins hat auch kein Stroh im Kopf. Freilich, wenn er jetzt auf und davon ist mit dem gläsernen Schuh und die Ackerfurche bleibt leer, dann bin ich der Dumme. Aber wer nichts wagt, gewinnt nichts.
(Heller Klang an der Pflugschar.) Was war das? Brrr, Brauner! Steh, sag ich. Tatsächlich-ein goldener Taler, genau wie der aus dem Geldsack. Also bin ich doch ein Sonntagskind! Nun wollen wir sehen, ob aus jeder Furche so ein Goldkönig springt! Dann führe ich die Johanna noch diesen Sommer zum Altar. Hüh, Brauner! Heute Abend gibt's eine doppelte Portion Hafer. Zieh an! (Schnobern und Klirren des Pfluggeschirrs.)
8 Im Berg
(Der König und der Unterirdische)
König: So, da hast du deinen Schuh also zurück. Was hat dieser Bauer verlangt?
Unterirdischer: Einen Taler aus jeder Furche, die er umpflügt.
König: Soll er sich krumm und lahm pflügen für sein Gold. Und der andere Handel?
Unterirdischer: Ist abgemacht und beschworen. Hält er seinen Schwur nicht, dann hol ich seine Liebste.
König: Eine Dorftrine? Wer ist sie?
Unterirdischer: Die Johanna vom Krug , mein König.
König: Die Johanna vom Krug ? Sieh einer an. Da hast du gut gehandelt. Lass dir was einfallen, wie er seinen Schwur bricht.
Unterirdischer: Seinen Schwur brechen? Dann müssen wir wieder nachts zu den Menschen und…
König: Tu, was ich dir befehle. Das Mädchen ist mehr wert als jeder von euch.
9 Feldrain hinter dem Dorfkrug.
(Lerchengesang. Johann und Johanna)
Johann: Nun schau mal, was ich hab!
Johanna: Hast du mich erschreckt! Was versteckst du dich hier, am heller lichten Tag? Die Stiefmutter wird dich sehen.
Johann: Das soll sie auch. Vor allem das hier! (klimpert mit den Talern in seiner Hand)
Johanna: Gold?
Johann: Bald hab ich hundert Taler beisammen.
Johanna: Was hast du ausgehandelt mit den Unterirdischen?
Johann: Das darf ich nicht sagen. Hat deine Großmutter dir je erzählt, wovon die Unterirdischen leben?
Johanna: Von Essen und Trinken, wie wir.
Johann: Schon, aber wie kommen sie dazu? Sie können doch unter der Erde weder Weizen noch Wein anbauen, kein Korn und keinen Hopfen.
Johanna: Sie holen sich‘s von den Menschen. Nachts, aus Speisekammern und Scheunen. Warum fragst du?
Johann: Nur so. Nichts weiter. Jedenfalls kann ich jetzt bald um deine Hand anhalten.
Johanna: Hab noch Geduld, Johann. Ich muss erst etwas finden.
Johann: Was musst du noch finden, wo du mich gefunden hast?
Johanna: Das darf ich dir nicht sagen. Komm besser nicht mehr in den Krug.
Wirtin: (vom Krug her) Johanna! Wo bleibst du? Soll ich dir erst Beine machen?
Johanna: Ich muss gehen.
Johann: Warte. Was musst du noch finden?
Johanna: Ein Kraut.
Johann: Ein Kraut?
Johanna: Frag nicht, Johann. Leb wohl.
10 Schmiede
(Am Morgen. Schmiedegeräusche, Hammer auf Ambos. Johann Wilde, Magnus, der Schmied)
Johann: Guten Morgen, Meister Magnus! Schon so früh am Amboss?
Magnus: Guten Morgen, na immer so früh, Johann. Schon so spät und noch nicht auf dem Feld?
Johann: Ich brauch einen neuen Pflug. Der alte taugt nichts mehr, pflügt kaum noch eine Spanne tief.
Magnus: Das sieht euch Bauern ähnlich. Den ganzen Winter lang geizt ihr und hortet eure Erntegroschen. Aber im Frühjahr kommt ihr alle auf einmal zum Schmied gelaufen. Hast du überhaupt Geld?
Johann: Ich zahle im Voraus.
Magnus: Sogar im Voraus! Was du nicht sagst. Siehst du da hinten den Haufen stumpfer Pflugscharen? Bei mir geht es immer der Reihe nach.
Johann: Was kostet eine neue Pflugschar außer der Reihe? (wirft einen Taler auf den Amboss, der Schmied hört auf zu hämmern.)
Magnus: Ach du dicker Amboss. Sieh einer an. Wie kommst du zu einem Goldstück?
Johann: Schmiedest du mir dafür eine neue Pflugschar, oder muss ich ins Nachbardorf gehen?
Magnus: Dafür kannst du drei neue haben.
Johann: Eine genügt. Kannst du mir den Taler wechseln?
Magnus: Vielleicht.
Johann: Aber behalte den Handel für dich. Ich will nicht, dass im Dorf darüber geredet wird.
Magnus: Hast wohl einen Schatz beim Pflügen gefunden, was?
Johann: Wie kommst du darauf?
Magnus: Ich glaub, ich hab so einen Taler schon einmal gesehen. Bei Bauer Kruse, wenn mich nicht alles täuscht.
Johann: Bei Bauer Kruse?
Magnus: (lacht) Da wird er bleich, der Goldjunge. Willst du ihm die Johanna ausspannen, jetzt, wo er verschwunden ist? Das ganze Dorf spricht schon davon. Jetzt wird er rot. Ach Gott, was geht´s mich an. Komm morgen Abend wieder, dann hast du deine Pflugschar, und zwar funkelnagelneu. (Er beginnt wieder zu schmieden.)
11 Stall
(Am Abend. Der Braune schnobert im Hafersack)
Johann: Das war ein guter Tag, Brauner. Ein neuer Pflug und ein Sack voller Taler. Bald hab ich die hundert zusammen. Trotzdem gehen mir die Worte vom Schmied wie ein Mühlstein im Kopf herum. "Das ganze Dorf spricht schon davon." Von denen darf keiner hinter mein Geheimnis kommen. Aber wohin mit all dem gepflügten Gold? Am besten, ich versteck´s hier unter dem Hafer in der Futterkiste. Du sollst auch was von dem Goldsegen haben, Brauner. Bald ist Pferdemarkt, da kauf ich ein neues Gespann. Dann kannst du ausruhen. Aber morgen musst du mir noch helfen, Brot und Bier auf den Dobberworth zu bringen.
12 Auf dem Dobberworth
(Nacht, Wind. Der Braune wiehert unruhig. Johann, später der Unterirdische)
Johann: Da wären wir, Brauner. Hast gut gezogen, die schwere Fuhre. Ruhig! Ist alles still. Der Berg liegt unter dem Mondlicht wie aus reinem Silber. Kein Spalt zu sehen. (Ruft) He, hallo! Hier ist Bauer Wilde mit Brot und Bier! Hallo!
(Musik, der Berg öffnet sich. Der Braune wiehert.)
Unterirdischer: Willkommen, Bauer Wilde. Fahr dichter an den Berg, damit wir abladen können.
Johann: Die Stimme kenne ich! Du bist doch der Kaufmann, dem ich seinen Schuh wiedergegeben habe. Wo bist du?
Unterirdischer: Hier, neben dir. Hab keine Furcht.
Johann: Wie das gleißt und blendet! Ich kann nicht näher an den Berg, der Braune scheut.
Unterirdischer: Ruhig! Gib mir die Zügel, ich will ihn schon führen. (Der Braune wird ruhig, das Fuhrwerk rollt weiter. Flüstern der Unterirdischen.) So ist es gut. Schau nicht in den Berg, sonst musst du mit uns kommen.
Johann: Wie Bauer Kruse?
Unterirdischer: Wir haben ihn gewarnt. Aber sein Gold war ihm nicht genug, er wollte immer mehr.
Johann: Und jetzt ist er im Berg?
Unterirdischer: Er ist, wo er sein wollte.
Johann: Und Johanna? War sie auch einmal bei euch im Berg?
Unterirdischer: Wie kommst du darauf, Bauer?
Johann: Warum zeigst du dich nicht? Und warum holt ihr das Brot und das Bier nicht mehr aus dem Dorf, wie früher?
Unterirdischer: Das ist zu gefährlich geworden. Die Menschen lauern uns auf. Sie streuen Erbsen in die Speisekammern, stellen Fallen in den Scheunen auf. Manche kommen sogar nachts auf unseren Berg und werfen mit Weizenkörnern, wenn wir unser Vollmondfest feiern.
Johann: Aber ich bin doch ein Sonntagskind…
Unterirdischer: Darum ist dir bisher auch alles gut ausgegangen. Doch hüte dich, noch mehr wissen zu wollen.
Johann: Ich will nur mit Johanna glücklich werden.
Unterirdischer: Warum hast du dir dann nicht Glück gewünscht statt Gold?
Johann: Ich wusste es damals nicht besser. Aber heute…
Unterirdischer: Genug davon. Das Fuhrwerk ist abgeladen. Fahr nach Hause, Bauer Wilde. Und vergiss uns nicht bis zum nächsten Vollmond.
Johann: Warte noch! Ich muss wissen, ob die Johanna bei euch im Berg war…
(Donner, der Berg schließt sich, die Musik verklingt, das Flüstern verstummt.)
13 Feld
(Am Morgen. Schnobern des neuen Gespanns, Klappern des Pflugs und des Geschirrs.
Johann Wilde, der Amtmann zu Pferd)
Amtmann: Brrr ! Ein schönes Gespann, mit dem du da pflügst. Das war nicht billig, wie?
Johann: Es ist sein Geld wert. Mein Brauner war schon alt.
Amtmann: Für den hast du bestimmt nichts mehr bekommen. Auch eine neue Pflugschar, sieh an.
Johann: Die alte war hin.
Amtmann: Da hast du wohl einen Schatz gefunden?
Johann: Nur ein paar alte Taler.
Amtmann: Was du nicht sagst. Und wo?
Johann: In meinem Stall, als ich einen Pfosten ausgewechselt habe. Mein Großvater muss sie versteckt haben.
Amtmann: Dann hast du das Gespann wohlfeil bekommen.
Johann: Bares Geld ist knapp, in diesen Zeiten.
Amtmann: Wem sagst du das. Saatgut wohl auch?
Johann: Warum?
Amtmann: Weil ich dich schon drei Tage pflügen sehe. Aber ausgesät hast du noch nichts.
Johann: Das ist nur, weil – weil ich mit dem alten Pflug nicht tief genug gekommen bin.
Amtmann: So. Na, nichts für ungut, Bauer Wilde. Will hoffen, dass deine Saat auch aufgeht.
Johann: Das wird sie. Hüh! (Der Amtmann reitet weiter, Johann knallt mit der Peitsche.)
14 Dorfkrug
(Am Morgen. Ein Hund bellt . Johann Wilde, Wirtin)
Wirtin: Was willst du hier, am frühen Morgen? Der Krug ist noch geschlossen, und für dich sowieso.
Johann: Ich komme, weil ich um Johannas Hand anhalten will. Der Bauer Kruse wird’s wohl nicht mehr tun.
Wirtin: Woher willst du das wissen, Habenichts?
Johann: Ich weiß, was ich weiß. Und was den Habenichts angeht – hier sind hundert Taler.
Wirtin: Schau einer an. Hundert Taler. Wie bist du dazu gekommen?
Johann: Durch meiner Hände Arbeit.
Wirtin: Dass ich nicht lache! Durch seiner Hände Arbeit kommt kein Mensch zu solchem Reichtum. Nun?
Johann: Es ist die gleiche Summe, die Bauer Kruse aufgeboten hat. Den hast du auch nicht gefragt, woher er´s hatte.
Wirtin: Weil er einen großen Hof besaß! Aber du mit deinem Katen und dem schmalen Ackerstück, auf dem mehr Unkraut wächst als Weizen. Und nicht mal das gehört dir.
Johann: Aber das Geld gehört mir.
Wirtin: So? Und woher kommt´s auf einmal?
Johann: Mein Großvater hatte sein Geld versteckt und ich hab das Versteck gefunden.
Wirtin: Ja, und im Himmel ist Jahrmarkt. Du willst es mir nicht sagen, schön. Behalte dein Geheimnis und dein Geld für dich. Und komm erst wieder, wenn du tausend Taler hast.
Johann: Tausend?
Wirtin: Ja, tausend. Wo so viel lag, wird wohl noch mehr liegen. Das Mädchen ist mir teuer zu stehen gekommen, seit ich sie in mein Haus genommen habe. Die hatte nichts und wollte jeden Tag drei Mahlzeiten essen. Und brauchte Kleider, Schuhe, Schürzen, jedes Jahr neu. Glaubst du, ich lass sie jetzt gehen für ein Vergelts Gott?
Johann: Ich habe keine tausend Taler.
Wirtin: Du wirst sie schon finden. Mach dich vom Hof! (Der Hund bellt, der Hahn kräht, die Hoftür wird krachend zugeworfen.)
15 Feldrain
(Am Abend, Schnauben eines erschöpften Pferdegespanns. Johann, später der Amtmann)
Johann: Jetzt habe ich wieder einen ganzen Tag lang gepflügt, für müde fünfzig Taler. Und kein Wort von Johanna. Wie lange soll das noch so weiter gehen? Die Leute reden, und irgendwann wird irgendjemand dahinter kommen.
(Hufgetrappel, der Amtmann.)
Amtmann: Na, Bauer Wilde, noch immer hinterm Pflug?
Johann: Ich hab schon ausgespannt.
Amtmann: Und noch immer auf dem kleinen Ackerstück.
Johann: Die Furche war nicht tief genug.
Amtmann: Mir schien sie tief genug.
Johann: Und der Boden war voller Steine.
Amtmann: Musst du dich deshalb hinter jeder Furche bücken?
Johann: Ich sammle die Steine auf, die in den Furchen liegen. Damit kann ich meinen Hof pflastern.
Amtmann: So, deinen Hof. Und die gute Stube mit Gold, was?
Johann: Schön wär´s. Ich wüsste was Besseres damit anzufangen.
Amtmann: Die Johanna vom Krug heiraten, wie?
Johann: Warum nicht?
Amtmann: Die Wirtin fordert ein stolzes Brautgeld, sagt man.
Johann: Darum muss ich gut pflügen.
Amtmann: Ach ja? Und was ist mit Bauer Kruse?
Johann: Er ist verschwunden, sagt man.
Amtmann: Ja. Aber du sagst, er kommt nicht wieder. Woher weißt du das?
Johann: Wenn er Johanna wirklich heiraten wollte, wäre er da nicht längst zurück?
Amtmann: Bestimmt. Aber wenn er tot ist, weil ihn einer erschlagen hat, der an sein Geld wollte?
Johann: Wer sollte das getan haben?
Amtmann: Die Welt ist schlecht, Bauer Wilde, und voller Tücke. Unser Dorf ist nicht besser. Gerüchte schwirren, dicht wie die Stallfliegen. Vor allem, wenn plötzlich ein Reichtum auftaucht, wo vorher keiner war.
Johann: Ich hab´s Euch schon gesagt: das Geld für das Gespann und auch das Brautgeld kommt aus dem Versteck von meinem Großvater.
Amtmann: Gesagt, ja. Aber kannst du´s auch beweisen? Denn wenn du das Geld auf dem Acker gefunden hättest, dann würde es unserm Herrn gehören, von dem du deinen Acker nur gepachtet hast.
Johann: Ich hab´s im Stall gefunden, Herr Amtmann.
Amtmann: Beweise, Bauer. Ich brauch Beweise. Die Leute flüstern und der Gutsherr fragt mich, woher die Gerüchte kommen. Da muss ich Nachforschungen anstellen und Auskunft geben können. Steine, sagst du. Vielleicht noch etwas anderes als Steine?
Johann: Nichts anderes.
Amtmann: Nun gut. Ich komm schon noch dahinter.
16 Brunnen am Dorfanger.
(Ein Eimerwird an einer Winde in den Brunnen gelassen. Johanna und Johann)
Johanna: Ich kann nicht lange bleiben. Die Stiefmutter ist misstrauischer denn je.
Johann: Ich war so froh, als du mir vom Feldweg zugewunken hast. Ich habe Pferde und Pflug gleich stehenlassen und ...
Johanna: Der Amtmann war gestern Abend im Krug. Er hat lange mit der Stiefmutter gesprochen. Ich hab nicht viel verstehen können. Aber sie haben von dem Geld gesprochen, das du ihr bringen wolltest.
Johann: Und – hat sie auch gesagt, dass sie statt hundert Talern jetzt tausend haben will?
Johanna: Tausend Taler?!
Johann: Deswegen pflüge ich Tag und Nacht.
Johanna: Du musst damit aufhören. Der Amtmann wird dir auflauern und wenn er sieht, dass du das Gold aus dem Acker des Gutsherrn pflügst…
Johann: Wo sonst? Wenn ich nicht weiter pflüge, dann werden wir niemals Mann und Frau.
Johanna: Kannst du den Acker nicht vom Gutsherrn kaufen?
Johann: Den Acker kaufen?
Johanna: Dann würde er dir gehören und alles, was du darauf findest.
Johann: Dass ich darauf nicht von selbst gekommen bin!
Johanna: Aber du musst es klug anfangen, denn der Amtmann hat einen Verdacht geschöpft. Sag ihm, du willst das Geld deines Großvaters lieber anlegen, damit´s dir nicht gestohlen werden kann.
Johann: Ich werde immer auf dich hören, wenn wir erst Mann und Frau sind.
Johanna: Schon gut. Ich muss zurück zum Krug. Lass mich wissen, wie es ausgegangen ist, wenn du beim Amtmann warst.
Johann: Das werde ich. Noch heute geh ich hin.
17 Stube des Amtmanns.
(Eine Wanduhr schlägt und tickt. Amtmann, Johann)
Amtmann: So, den Acker willst du vom Gutsherrn kaufen. Vom Geld deines Großvaters, wie?
Johann: Damit ich´s sicher anlege.
Amtmann: In den kleinen, sandigen Acker. Warum nicht in einen besseren?
Johann: Ich hab ihn lang genug gepflügt. Wenn ich ihn gut dünge, wird er schon werden.
Amtmann: Und was willst du anbauen?
Johann: Weizen und Rüben.
Amtmann: So, Weizen und Rüben. Und was willst du dafür geben?
Johann: Zwanzig Taler?
Amtmann: Zwanzig Taler, so. Zeig her.
Johann: Hier. Sie sind schon abgezählt.
Amtmann: Du scheinst es eilig zu haben. (Er lässt das Geld aus dem Beutel über den Tisch rollen.) Schwedische Kronen wie?
Johann: Geld ist Geld, oder?
Amtmann: Mit Wappen und Angesicht des Königs. Seltsam, nicht wahr?
Johann: Was ist denn daran seltsam?
Amtmann: Seltsam ist, dass diese Taler zu Lebzeiten deines Großvaters noch nicht geprägt waren. Da saß nämlich noch der Großvater des Königs auf dem Thron.
Johann: Dann hat – wohl ein anderer diese Taler im Stall versteckt…ein…
Amtmann: Ein Anderer, so. Und wer soll das gewesen sein? Der barmherzige Nikolaus? Ein flüchtiger Seeräuber? Oder gar – ein Unterirdischer?
Johann: Was erzählt Ihr da?
Amtmann: Und was erzählst du, Johann Wilde? Eine Lüge nach der anderen! Weil du dies Geld auf dem Acker des Gutsherren gefunden hast und nicht abliefern wolltest? Weil du dachtest, du könntest damit die Johanna bekommen?
Johann: Ihr irrt Euch, Herr Amtmann…
Amtmann: Vielleicht irre ich mich. Das Geld ist wie neu und kann noch nicht lange in der Erde gelegen haben. Vielleicht stammt es vom Bauern Kruse? Du warst der Erste, der wusste, dass er nicht mehr zurückkommt.
Johann: Nach zwei Wochen…
Amtmann: Vielleicht wusstest du es, weil du ihn selber totgeschlagen hast?
Johann: Wäre ich dann hiergeblieben?
Amtmann: Das werde ich schon noch herausbekommen. Aber erst einmal kommst du in den Kerker. (Ruft) Wache! Schafft den Kerl hier in den Kerker und ruf mich erst, wenn er mir was zu sagen hat.
Johann: Bitte Herr Amtmann – nicht jetzt! Ich komm von selber morgen früh – aber nicht heute!
Amtmann: Du bist ein Spaßvogel, Bauer Wilde. "Ich komm von selber morgen früh!" Du wärst der Erste, der freiwillig hinter Gitter geht. Weg mit ihm!
Johann: Nein!
(Johann wird hinaus gezerrt, eine schwere Eisentür fällt ins Schloss.)
18 Im Kerker
(Gegen Abend. Johann, später die Kerkermaus)
Johann: Nun ist alles vorbei. Heute Nacht ist Vollmond und ich kann weder Brot noch Bier zum Dobberworth bringen. Dann werden die Unterirdischen die Johanna holen und sie wird von meinem dummen Schwur erfahren.
(Die Kirchturmuhr schlägt elf.) Da will ich lieber alles gestehen, selbst wenn ich Geld und Freiheit für immer verliere. (Schlägt gegen die Tür) Wache! Ruft den Amtmann! Ich will alles zugeben! Hallo! Hört mich denn keiner?
Kerkermaus: Um diese Zeit? Die sitzen längst im Krug.
Johann: Wer spricht da?
Kerkermaus: Mach deine Augen auf.
Johann: Ich sehe niemanden.
Kerkermaus: Bin ich Niemand? Hier, auf dem Strohsack!
Johann: Eine Maus?
Kerkermaus: Nicht irgendeine Maus. Die Kerkermaus!
Johann: Und du kannst sprechen? Bist du eine Unterirdische?
Kerkermaus: Wie man´s nimmt. Aber hier drinnen ist es interessanter als unter der Erde. Weitgereiste Gäste aus aller Herren Länder. Bauchredner, Hellseher und sogar Zauberkünstler. Deine Vorgänger haben so viel mit mir geplaudert, dass ich eure Sprache gelernt habe. Und sicherer ist es hier auch. Keine Hunde, keine Katzen. Ein paar Krümel fallen immer ab.
Johann: Dann hast du auch verstanden, was ich gesagt habe?
Kerkermaus: Kein Wort. Wieso musst du bis Mitternacht Brot und Bier zum Dobberworth bringen?
Johann: Das ist eine lange Geschichte. Kannst du mir helfen?
Kerkermaus: Kommt ganz drauf an.
Johann: Kannst du, so schnell dich deine kleinen Beine tragen, zum Krug laufen und Johanna warnen, die Tochter der Wirtin?
Kerkermaus: Vor den Unterirdischen?
Johann: Ja, schnell!
Kerkermaus: Vor den Unterirdischen kann sich keiner verstecken. Die finden jeden, und wenn er sich in ein Mauseloch verkriecht.
Johann: Dann ist alles verloren.
Kerkermaus: Was gibst du mir, wenn ich dir helfe?
Johann: Ich gebe dir all mein Gold und…
Kerkermaus: Gold, wie langweilig. Gold kann man nicht essen. Käse dagegen…
Johann: Käse?
Kerkermaus: Ich habe eine Leidenschaft für Ziegenkäse. Aber an den ist schwer heranzukommen. Die Bauern haben sich Käseglocken angeschafft, die nagt kein Mausezahn durch. Wenn ich dir helfe, versprichst du mir dann, mich mein Leben lang mit Ziegenkäse zu verwöhnen?
Johann: Wenn´s weiter nichts ist.
Kerkermaus: Und keine Katzen.
Johann: Versprochen.
Kerkermaus: Wenn du dein Wort nicht hältst, dann wird dein Haus von einer Mäuseplage heimgesucht, dass dir kein Körnchen für den Winter bleibt. Unsereins hat auch seine Beziehungen.
Johann: Ich halt mein Wort. Aber wie willst du mir hier heraushelfen?
Kerkermaus: Nichts einfacher als das. Ich hole die Schlüssel.
Johann: Die Schlüssel?
Kerkermaus: Die hängen in der Wachstube. Der Wächter hat ein zweites Paar machen lassen, weil er das erste schon so oft verschludert hat. Das sind die Vorteile der Schlamperei.
(Die Kirchturmuhr schlägt halb Zwölf. Die Kerkermaus kommt mit den klirrenden Schlüsseln zurück. )
Kerkermaus: Da sind die Schlüssel!
Johann: Lauf zu Johanna ! Du bist schneller als ich.
Kerkermaus: Wie du willst. Ich hoffe, deine Liebste hat nichts gegen Mäuse.
19 In Johanns Stall
(Das Tor wird aufgestoßen, der Braune wiehert, Johann kommt)
Johann: Johanna ist wie vom Erdboden verschluckt und auch die Kerkermaus ist verschwunden. Brauner, und wo ist das Fuhrwerk mit Brot und Bier? Ich hatte doch alles schon aufgeladen! Das muss der Amtmann gewesen sein. Oder die Unterirdischen? Vielleicht haben sie erfahren, dass ich im Kerker sitze und sich die Fuhre selbst geholt? Ich muss zum Dobberworth. Komm Brauner, du musst noch einmal unter den Sattel.
(Wirft dem Braunen Sattel und Zaumzeug über.) Trab los, so schnell du kannst!
20 Am Dobberworth
(Nachts. Vom Dorf her schlägt die Turmuhr Mitternacht. Johann kommt galoppiert, der Braune wiehert. Musik aus dem offenen Berg. Johann, der Unterirdische)
Johann: Zu spät.
Unterirdischer: Zu spät, allerdings.
Johann: Wo ist Johanna?
Unterirdischer: Auf dem Weg zu unserem König.
Johann: Johanna!
Unterirdischer: Willst du ihr folgen? Von dort unten kommt kein Mensch zurück.
Johann: Lass mich vorbei!
Kerkermaus: (flüstert) Halt, du Narr!
Johann: Kerkermaus? Wo steckst du?
Kerkermaus: In deiner Rocktasche. Man darf dich keinen Moment aus den Augen lassen. Eine Dummheit nach der anderen.
Unterirdischer: Bitte, tritt nur näher.
Johann: Ich kann Johanna nicht alleine lassen!
Kerkermaus: Natürlich nicht. Deswegen hab ich hier das Kraut Durande. Das hat Johanna fallen gelassen, als sie plötzlich vor meinen Augen verschwunden ist.
Johann: Das Kraut Durande?
Kerkermaus: Die Zwerge haben überall danach gesucht, aber da hatte ich es längst versteckt.
Johann: Gut. Ich komme.
Unterirdischer: Mut hast du, das muss man dir lassen.
Johann: Mut habe ich – und das Kraut Durande!
(Die Musik verstummt, die Stimme des Unterirdischen plötzlich unsicher und tonlos.)
Unterirdischer: Das Kraut Durande.
Johann: Führst du mich jetzt zu eurem König?
Unterirdischer: Folge mir.
(Sie steigen die Stufen in den Berg hinab. Geräusche wie in einer Tropfsteinhöhle, ihre Schritte hallen in langen Echos nach. Hämmern und Klopfen, wie in einem Bergwerk.)
Johann: Wie das Kraut auf einmal leuchtet! Wie eine Flamme. Was ist das?
Kerkermaus: Schwatz nicht und sieh dich lieber vor. Halte das Kraut gut fest, egal was geschieht. Gib es nicht aus der Hand, bis wir wieder aus dem Berg heraus sind. Wenn die Unterirdischen vor etwas Furcht haben, dann vor diesem Kraut, sagt Johanna. Was sie dir auch bieten mögen – gib es nicht aus der Hand.
Johann: Wie es leuchtet und strahlt. Sieh dort, wie die Unterirdischen schürfen und graben! Das müssen hunderte sein.
Kerkermaus: Tausende. Aber weil sie sich immer tiefer in den Berg graben, brauchen sie immer neue Bergleute.
Johann: Woher weißt du das alles?
Kerkermaus: Das hat mir Johanna erzählt.
Johann: Aber was wollen die Unterirdischen von ihr?
Kerkermaus: Sie stammt von den weißen Frauen ab. Die kennen ein Licht, das selbst in der tiefsten Finsternis nicht verlischt. Und die Unterirdischen brauchen dieses Licht, um weiter graben zu können.
Johann: Was ist das für ein Licht?
Kerkermaus: Du hältst es in der Hand.
Johann: Warum hat sie mir nichts davon gesagt?
Kerkermaus: Sie durfte es keinem Menschen sagen. Aber ich bin ja kein Mensch. Das hat auch seine Vorteile. Aber nun lass den Zwerg nicht aus den Augen und gib auf den Weg Acht. Die Stufen sind glatt.
(Kristallene Klänge.)
Johann: Das ist kein Gold mehr. Sieh nur, das sind Edelsteine.
Kerkermaus: Ja, Granate und Rubine, glühend wie das Feuer aus der tiefsten Tiefe. Sieh nicht hin, sonst blenden sie dich.
Johann: Der Mann dort – war das nicht Bauer Kruse?
Kerkermaus: Wer sonst? Geh weiter, wenn du nicht enden willst wie er.
(Das Echo ihrer Schritte wird stärker, sie betreten einen riesigen Saal tief unter der Erde.)
Johann: Johanna! Was ist mit ihr?
König: Bleib stehen! Du hast dich also bis in die Herzkammer meines Reichs gewagt, Bauer?
Unterirdischer: Er hat das Kraut Durande.
König: Das sehe ich. Und nun willst du deine Liebste zurück, obwohl du deinen Schwur gebrochen hast?
Johann: Schuldlos, Herr König.
König: Gebrochen ist gebrochen. Aber ich will dir einen zweiten Handel anbieten. Du kannst von den Schätzen dieser Halle haben, was dein Herz begehrt.
Johann: Mein Herz begehrt nur einen Schatz. Was ist mit Johanna?
König: Sie schläft. Hier gibt es größere Schätze. Juwelen, die dir die ewige Jugend und unendlichen Reichtum schenken können. Steine, in die die Wunder der Erde eingeschlossen sind und das Licht des Himmels. Damit kannst du Prinzessinnen bekommen.
Johann: Ich will keine Prinzessin.
König: Du bist ein Dummkopf. Du wirfst Unsterblichkeit und Reichtum fort. Meinetwegen, nimm sie wieder mit. Ich will nur dieses Kraut, das du in den Händen hältst.
Johann: Niemals.
König: Das wirst du bereuen.
Johann: Wecke sie auf, oder …
König: Nimm das verfluchte Kraut weg! ( Donner)
Johanna: (erwacht) Johann! Wo bin ich?
Johann: Im Reich der Unterirdischen durch meine Schuld. Aber ich werde dich wieder ans Licht bringen. Verzeih mir, Johanna.
Johanna: Ich konnte dir nicht helfen, weil ich schweigen musste. Bis ich das Kraut gefunden hatte.
König: Wozu brauchst du es jetzt noch? Gib es mir und ich lasse euch wieder hinauf auf die Erde.
Johanna: Niemals. Ohne das Kraut wären wir verloren. Aber jetzt führt es uns zurück.
(Heller, durchdringender Klang)
König: Verflucht!
Kerkermaus: Nichts wie weg. Hier wird die Luft knapp.
(Sie laufen auf den Stufen nach oben, langes Echo des hellen Klangs.)
21 Vor dem Dorfkrug
(Johann, Johanna, Kerkermaus)
Johann: Wo sind wir hier? Das ist doch nicht unser Dorf. Lauter neue Häuser.
Johanna: Der Krug ist noch derselbe.
Johann: Aber die Linde nicht. Die ist doch mindestens hundert Jahre alt. Was hat das zu bedeuten?
Johanna: Das bedeutet, dass in einer Nacht im Dobberworth hundert Jahre auf Erden vergehen.
Johann: Und das hast du gewusst? Na, wenigstens sind wir nicht hundert Jahre älter geworden.
Johanna: Dank dem Kraut Durande.
Johann: Jetzt verrat mir doch endlich, was es mit diesem zauberhaften Kraut auf sich hat!
Johanna: Das ist eine lange Geschichte.
Kerkermaus: Ich liebe lange Geschichten!
Johann: Stopp. Stopp. Die heb‘ für später auf. Jetzt wird erst einmal Hochzeit gefeiert!
Kerkermaus: Hochzeit?
Johann: Ja, Hochzeit. Oder sollen wir nochmal hundert Jahre warten?
(Musik. Das Ende)
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